Utopien

Utopien und Träume mit Monte Azul International

„Ich fände toll, wenn es ein kreativer Prozess wird, wo wir ins Gestalten kommen.“

„Ja – es wäre schön, wenn die kreativen Kräfte angeregt werden und die Menschen sich trauen, etwas in Bewegung zu bringen“

„Wir sollten unbedingt die Kinder einbinden.“

„Mir wäre wichtig, dass es ein Rahmen ist, wo jeder seinen Impulsen folgen kann.“

„Was haltet ihr davon, wenn wir das wie einen Spiele-Parcours machen? Vielleicht sogar öffentlich?“

„Ja, das passt gut. Auch zu Monte Azul. Wir haben oft gehandelt, ohne vorher genau zu wissen, was daraus wird. Es wäre so schön, wenn die Menschen erleben, dass es sich lohnt etwas zu tun, egal wie klein.“

Diese Zitate notierte ich in den ersten Gesprächen zur Vorbereitung der Kulturtage 2024 des Monte Azul International Vereins. Die jährlichen Treffen bringen Menschen aus Deutschland, Brasilien und anderen Ländern zusammen, die im Laufe ihres Lebens eine Zeitlang in Sao Paolo gelebt und, überwiegend als Freiwillige, in der Sozialorganisation Monte Azul mitgearbeitet haben. Das Kulturprogramm war dem Thema ‚Utopien und Träume‘ gewidmet und die Organisatoren luden mich ein mitzumachen. Gemeinsam entwickelten wir das Programm. Die Wünsche waren mutig: Die Teilnehmenden sollten die Möglichkeit bekommen Kraft zu schöpfen für Menschlichkeit und für die Verbindung mit der Natur, ihre Kreativität sollte angeregt und ihr Kontakt zu den eigenen Impulsen gestärkt werden. Die Motivation zu handeln und Verantwortung zu übernehmen sollten intensiviert werden.

Aus den ersten Ideen entwickelten wir nach und nach den Rahmen für einen kreativen, lebendigen, bunten und berührenden Tag. Der Wunsch die Kinder einzubinden und jede Aktivität so zu gestalten, dass sie für Kinder und Erwachsene gleichermaßen einladend ist, verhinderte, dass wir das Thema Utopien zu abstrakt, theoretisch und kopflastig aufgriffen. Auch die Zweisprachigkeit (deutsch und brasilianisch) unterstützte uns dabei, Vorgaben auf das Wesentliche zu beschränken und uns auf Aktivitäten zu konzentrieren.

Eine Phantasiereise zur Einstimmung

Am Abend der Anreise wurde eine Vorstellungsrunde mit einer Phantasiereise abgeschlossen, die es den Teilnehmenden ermöglichte, in sich zu gehen, anzukommen und in der eigenen Vergangenheit nach einer Erfahrung zu forschen, die für sie bedeutsam für eine wünschenswerte Zukunft ist. Damit wurde das Thema der Utopien und Träume bereits am Anfang des Wochenendes auf eine besinnliche und offene Weise eingeführt. Es wurde eine Verbindung zwischen Vergangenheit, Jetzt und Zukunft geschaffen.

Am Samstag fand die Mitgliederversammlung statt und Renate Keller Ignacio berichtete über die aktuellen Entwicklungen und Herausforderungen in Monte Azul. Dadurch konnten wir den Sonntag frei gestalten.

Utopische Geschichten erzählen

Am Sonntag nach dem Frühstück luden wir die Teilnehmenden ein, still zwischen vielen im Saal ausgelegten Postkarten zu spazieren und diese zu betrachten. Nach einigen Minuten wurden sie eingeladen sich eine Karte auszusuchen. Anschließend tauschten sie sich in kleinen Gruppen darüber aus, warum sie eine bestimmte Karte ausgesucht hatten. Es war ein schönes Bild, wie die großen und kleinen Menschen mit sich und den Karten in stillem Austausch standen und dann ins Gespräch kamen.

Um das Thema Utopie kreativ im Rahmen einer kurzen gemeinsamen Aktivität aufzugreifen, beschlossen wir utopisch-fantastische Geschichten zu skizzieren. Es wurden drei Gruppen gebildet, die den Auftrag bekamen in 2-3 Sätzen beginnend mit „Stell dir vor…“ den Anfang utopischer Geschichten zu erzählen. Diese sollten so spannend und lebendig sein, dass die Zuhörer Lust bekommen, den Rest der Geschichte auch zu hören. Die Kinder waren in die Gruppen gemischt und die Erwachsenen hatten den Auftrag, den Ideen der Kinder etwas mehr Gewicht zu geben, als ihren eigenen. Dies half, dass die Geschichten lebendig wurden sowie politische Debatten und perfektionistische Analysen nicht Überhand nahmen. In einer zweiten Runde rotierte jede Gruppe zu dem Geschichtsanfang einer anderen Gruppe und sollte diese mit 2-3 Sätzen fortsetzen. Und in einer dritten Runde bestand der Auftrag darin, die Geschichtsanfänge mit einem Bild oder einem Titel zu ergänzen. Zum Abschluss wurden die Geschichtsanfänge vorgelesen und gezeigt.

Wie die Geschichten wohl weiter gehen? Was haben die Elefanten Lili und Markus auf der Kreuzung vor, wo die Natur vertikal und horizontal Vorfahrt hat? Wie lebt es sich in der Welt, wo alle stricken und häkeln und Fußball spielen – und wenn sie keine Lust mehr haben, eine Schnitzeljagd machen?

Anschließend war noch Zeit für die Vorbereitung des Nachmittags. Zu Mittag gab es gemeinschaftlich gekochte brasilianische Feijoada – ein Festessen.

Insel der Utopien, Land der Träume – ein Parcours für Groß und Klein

Die Idee eines Parcours hatte sich gehalten – in der Form, dass es Stationen geben sollte, wo unterschiedliche Aktivitäten ermöglicht werden und die Menschen sich frei bewegen können, um an dem teilzunehmen, was ihnen gefällt. Eigentlich wollten wir in der Planung des Tages keine Stationen ausarbeiten, sondern den Rahmen so moderieren, dass die Beteiligten selbst bestimmen, welche Stationen (also Spiele, Themen, Aktivitäten) es geben würde. Trotzdem sprudelten die Ideen schon in der Vorbereitungsphase: Gemeinschaftsbilder, Zirkus, Stadtverschönerung, Traumzimmer, Verkleidung, Theaterimprovisation, Gruppenspiele, Kletterparcours, Anlegen einer Blumenwiese, Utopie-Erzählungen, Musik, Landart… Alle hatten Ideen und offensichtlich auch selbst große Lust auf die vielen künstlerischen und gemeinschaftlichen Aktivitäten. Es hatte den großen Vorteil, dass wir gemeinsam nach und nach ein konkretes Bild des Parcours entwickelten und daraufhin unsere Pläne an die real gegebenen Möglichkeiten anpassen konnten („Oh… nur 5 Stationen?!“) und schließlich am Sonntag die Vorbereitung mit den Teilnehmenden innerhalb von 2 Stunden tatsächlich gelang.

Bewährt hat sich die Mischung aus vorbereiteten Ideen und Materialien (Stadt der Träume, Gemeinschaftsbild, Blumenwiese) und der Offenheit für zusätzliche Ideen (Poesie-Ecke, Pferde-Hindernislauf, Energie durch Tanz und Musik, Zirkus). Jede Vorbereitungsgruppe bekam den Auftrag sich ein Symbol auszudenken, welches als ein Stempel geschnitzt wurde. Die Teilnehmenden konnten sich ihre Postkarte umhängen und an jeder Station an der sie mitgemacht hatten einen Erinnerungsstempel auf die Rückseite der Karte geben lassen. Dies half die Stationen zu definieren und den Ablauf zu konkretisieren.

Die Reise begann mit Tanz im großen Kreis zu brasilianischer Trommel und Gesang von Ana und Andreza. Etliche Besucher kamen noch dazu und knapp vor einem mächtigen Regenguss zogen alle in das Gebäude wo die Insel der Utopien mit den verschiedenen Aktivitäten vorbereitet war. Nach einigen Minuten der Orientierung begann ein emsiges und geschäftiges Treiben an den verschiedenen Stationen.

Ich wurde nun in der Rolle der Moderatorin nicht mehr gebraucht und konnte mit den anderen eintauchen. Ein Mädchen zeigte mir ihren Pferdehindernisparcours, den wir mit Steckenpferden erprobten. Ich bemalte ein Papp-Gebäude mit Dachgarten für die Stadt der Träume. Die Energiegewinnung durch Tanz und Gesang ließ ich mir nicht entgehen – es waren dynamische und energiegeladene Wechselgesänge mit Trommelbegleitung. Nur die brasilianischen Texte wollten nicht so schnell gelernt sein – aber mit lalala ging es auch. Abschließend setzte ich mich zur Poesie-Ecke und fand dort berührende, vielsprachige Gedichte und Zitate. Kinder hatten zum Klang japanischer Haikus Bilder gemalt. Fernando Birris Antwort auf die Frage Wozu dient die Utopie?“ wurde in viele verschiedene Sprachen übersetzt und gegenseitig vorgelesen. Sie dient dazu, dass ich nicht aufhöre weiter zu gehen“. Es entstanden mehrere Haikus zu Themen des Tages. Die Stimmung war kreativ, vertieft, interessiert, berührend.

Als irgendwann das Stimmengewirr abflaute und die Kinder zu anderen Spielen auf dem Schulgelände weiterzogen, war es Zeit für den Abschluss. Ein paar Kinder säten eine Blumenmischung in das neu angelegte Blumenbeet – wegen des Regens kleiner als erhofft, aber dadurch nicht weniger schön. Und schließlich gab es einen musikalischen Abschluss mit den Musikerinnen, an dem wiederum fast alle teilnahmen und gemeinsam den Saal mit Wechselgesängen und Tänzen zum Klingen brachten. Die Runde fand einen ruhigen Abschluss in einem improvisierten Segen für die Kinder.

Offene Bühne am Abend

Nach dem Abendessen lud Theresa zum Sarau ein – einer offenen Bühne, auf der jeder der wollte etwas teilen und präsentieren konnte. Und spontan entstand ein fast zweistündiges Programm an Liedern, Musik, Rap, sogar zwei TikTok Videos und einigem mehr. Nach diesem Programm gingen wir müde und sehr erfüllt von schönen Eindrücken und Erlebnissen auseinander.

Rückblick

Das Erlebnis mit den Kindern gemeinsam etwas zu tun und sie immer wieder im Zentrum zu erleben (z.B. beim Tanzen) hatte viele berührt. Eine Teilnehmerin sagte, sie sei selbst wie in eine andere Dimension getreten, wie früher als Kind beim Spielen. Eine andere sprach von Seelennahrung, sie fühle sich inspiriert, erfüllt und voll Energie. Während und rund um die Aktivitäten gab es Raum für Begegnungen und das Gefühl von Gemeinschaft war deutlich wahrzunehmen. Es wurde gestaunt, dass das doch recht theoretische Konzept der Utopie in einer so lebendigen Form thematisiert wurde. Offenbar war es den Meisten ein tiefes und im Alltag oft vernachlässigtes Bedürfnis, in spielerisches, künstlerisches und gemeinsames Tun einzutauchen. Es war wie ein Durst, der gestillt wurde.

Vielen Dank an Steffen, Theresa, Mirjam, Marcos und dem ganzen Monte Azul International e.V. für diese schöne Zusammenarbeit und Erfahrung.

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Stell dir vor…. Unternehmen wären demokratisch

Die Macht einer Idee liegt darin, dass sie verändert, was wir uns vorstellen. (…) Man kann nichts ausprobieren, was man sich nicht zuerst vorgestellt hat. (…) Wir müssen also unsere Vorstellungsfähigkeit ausleben, sie erweitern und trainieren, um neue Ideen zu bekommen, mit denen wir experimentieren können…das Feld der Möglichkeiten erweitern.

In unserer aktuellen Welt gibt es kaum demokratische Unternehmen. Es gibt einige Kooperativen, Genossenschaften oder selbstverwaltete freie Schulen, die demokratische Strukturen entwickelt haben. Doch das große Bild ist ein anderes. Insbesondere wenn wir an internationale Konzerne denken, scheint es kaum vorstellbar, dass sich diese demokratisch organisieren könnten.

Und genau hier setzt das ‚Team Endicott’ an – wie sich die Wissenschaftler im Comic Hé Patron! Für eine Revolution im Unternehmennennen, der bisher leider nur auf Französisch verkauft wird.

Drei Wissenschaftlerinnen haben 2020 ein Manifest initiiert, welches anschließend von 3000 WissenschaftlerInnen aus 36 Ländern unterzeichnet wurde: Arbeit soll demokratisiert, dekommodifiziert und nachhaltig gestaltet werden.

In dem Comic kann man nun die Debatten und Überlegungen einer Gruppe Soziologen, Politologen, Juristen, einem Historiker und sogar einer Wirtschaftswissenschaftlerin nachlesen – schön albern gezeichnet und inhaltlich reichhaltig. Da es kein reales Forschungsobjekt im gewünschten Format gibt, erschaffen sie es. Zuerst lassen sie das Unternehmen ‚Soup Group‘, das sich ethisch und ökologisch höchste Prinzipien auf die Fahnen geschrieben hat, erfolgreich wachsen – doch irgendwann wird es schwierig. Die Werte verkommen zu Worthülsen und der Konzern steckt tief in der Krise. Und dann erzählen die Wissenschaftler, wie die Umstellung zu einem erfolgreichen, demokratischen Konzern aussehen könnte.

Utopien fangen an mit der Kritik am Status Quo. Die Wissenschaftler beginnen hier, erforschen und diskutieren die Probleme und warum es so wichtig für unsere Gesellschaft ist, dass die Demokratisierung von Unternehmen voran gebracht wird. Und glücklicherweise gehen sie auch den nächsten Schritt und skizzieren Ideen, wie ein demokratisierter Konzern aussehen und wie es dazu kommen könnte. Dadurch erreichen sie, dass die Idee eines demokratisch organisierten Konzerns dann doch nicht ganz so unmöglich („utopisch“) erscheint, wie man zunächst annehmen könnte.

Die Wissenschaftlerinnen bieten keinen Fahrplan zum Nachmachen an, sondern erzählen den Beginn einer Reise. Damit machen sie Mut und inspirieren, in der Hoffnung, dass sich viele Menschen in ihren Unternehmen gemeinsam auf Reisen machen, ganz unterschiedlich und ziemlich sicher beschwerlich, aber eben in Richtung eines demokratischeren, solidarischeren und nachhaltigeren Wirtschaftens.

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