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Insects for Utopias!

Wenn es Leben im All gäbe, würden wir es erkennen?

Und wenn wir es sähen, würden wir uns dann nicht fürchten?

Und wenn es kommunizieren würde, würden wir es merken?

Vermutlich nicht. Wir haben so viele Lebensformen auf der Erde und verstehen fast nichts von ihnen und ihrer Kommunikation.

Wenn wir uns anschauen, was wir dank Forschung und technischer Entwicklung inzwischen alles verstehen, nachweisen und bewirken können, was noch vor Jahrzehnten undenkbar war – wie können wir uns dann heute so fühlen, als wäre ein krönender Stand der Erkenntnis erreicht, als gäbe es kaum weiße Flecken des Unbekannten mehr auf unserer Landkarte des Wissens? Wo ist unser Bewusstsein für die unvorstellbare Fülle an Dingen, die wir nicht wissen, noch nicht wissen, nicht mehr wissen und die auch google und die KI nicht weiß? Oder die unzähligen Dinge, die wir uns noch ausdenken werden?

Die Einleitung meines Insektenführers zeigt deutlich, wie unvorstellbar riesig sowohl das bereits vorhandene Wissen, als auch die unermessliche Weite des Unerforschten ist. „Bislang sind weltweit rund eine Million Arten beschreiben. Auch heute noch kommen Tag für Tag zahlreiche neu beschriebene Vertreter hinzu. Die tatsächliche Artenzahl dürfte daher beträchtlich höher liegen – die Schätzungen hierfür bewegen sich zwischen 2 und 20 Millionen.“ Fast jede Seite beginnt mit dem Hinweis, dass es von dieser Art Insekten eigentlich Hunderte weitere gibt, die nicht abgebildet sind.

Das sind Zahlen, deren Bedeutung mir ansatzweise greifbarer wird, wenn ich einzelne Insekten bestaune: das filigrane Feenlämpchen der Feenlämpchenspinne; die kaum sichtbare, aber angriffslustige Larve der Staubwanze – perfekt getarnt mit Staub, der auf ihr klebt; die Langhornmotte mit goldbronzenen Flügeln und Fühlern, die mehr als 4x so lang sind, wie sie selbst oder der trunkene Mittsommer-Liebestaumel einer Schar Hirschkäfer, die sich um die vom Weibchen aufgebissene Saftquelle an einer Weide tummeln. Wie viele phaszinierende Beobachtungen sind bei Millionen unbekannter Insektenarten noch möglich?

Meine liebe Oma hätte nun vermutlich gesagt „Bleib mir mit diesem Dreckdings weg.“ Insekten waren für sie wohl überwiegend Schädlinge – Honigbienen gerade so tolerierbar. Ich hätte sie mit Vorträgen über Insekten (oder gar Utopien) kaum erreicht. Ich vermute, dass sie sich bei diesen Themen unwohl gefühlt und mich abgewimmelt hätte. Und wer von uns kennt das nicht? Auch ich will manches nicht wissen, manches überfordert mich, beängstigt mich oder langweilt mich. Manches nicht zu wissen und auch gar nicht erst wissen zu wollen, ist alltäglich und auch nötig in Zeiten des Informationsüberflusses.

Und doch, wir stehen als Gesellschaft vor Herausforderungen, denen wir mit Vorstellungsfähigkeit, Kreativität, Solidarität und Handlungskraft begegnen müssen. Ich befürchte, dass wir sehr starr und unbeweglich bleiben, wenn wir Unbekanntes vorschnell ignorieren oder abwimmeln. Wir brauchen einen interessierten, staunenden Blick, der nicht sofort zu wissen meint oder meint wissen zu müssen; ein ehrfürchtiges Bewusstsein für all das (Noch-)Nicht-Wissen und Noch-Nicht-Erdachte.

Für mich ist die Offenheit für utopische Entwürfe vergleichbar mit der Offenheit für unbekannte Insekten. Ohne Achtsamkeit bemerken wir dieses Utopische womöglich gar nicht und ohne Offenheit wehren wir es vorschnell ab – gruselig, fremd, überfordernd.

Wir könnten doch mal anfangen, den Umgang mit Unwohlsein und Angst gegenüber Unbekanntem, Ungewissen und Nichtwissen zu üben – beispielsweise indem wir die vielen Lebensformen, die uns tagtäglich umgeben, beobachten, erforschen und achtsam behandeln: Insekten, Mollusken, Bakterien, Reptilien, Säugetieren, Pilze, Algen…

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Psychologie der Utopie

Wie könnte eine Psychologie der Utopie aussehen? Ich bin keine Psychologin – also habe ich einen Freund gefragt, der Psychologe ist. Eine komische Frage, fand er. Und er überlegte, aber es fiel ihm nichts ein.

Er spielte mit meiner Frage: „Welche psychischen Bedürfnissen werden durch das Entwickeln einer Utopie erfüllt?“

Ihm kam keine Erleuchtung und er fragte weiter: „Was könnte die Utopie der Psychologie sein?“ Er fand, er könne sich keine Psychologen in einer utopischen Welt vorstellen. Und er ging an dem Tag gegen Macron demonstrieren.

Ich finde diese Fragen sind vielversprechende Erweiterungen meiner Ausgangsfrage. Daher lasse ich sie mal so offen stehen.

Ich selbst hatte mir überlegt, welche Gefühle mit Utopien einhergehen – ein spontanes Brainstorming, das ich für mich „Psychologie der Utopie“ genannt habe. Hier ist meine erste unsortierte Sammlung:

  • Hoffnung, wenn man durch eine Utopie eine Vorstellung bekommt, wie etwas besser werden könnte. (Ist Hoffnung ein Gefühl?)
  • Wut oder Angst, wenn man sich bewusst wird, wie weit die Realität von der Utopie entfernt ist, wie weit und schwer der Weg zu einer besseren Gesellschaft wird und wie stark die Beharrungskräfte sind.
  • Freude, über eine gute utopische Geschichten oder Bilder. Oder Freude darüber, dass man Ideen und Orientierung findet, wohin sich die Gesellschaft positiv entwickeln könnte.
  • Enttäuschung, wenn einem klar wird, das vieles von den Utopien nicht sein wird.
  • Schuldgefühle oder Scham? Vielleicht, wenn man sich seiner beharrenden Rolle in der gegenwärtigen Gesellschaft bewusst wird?
  • Sich handlungsfähig fühlen, weil man eine Vorstellung bekommt, wohin man gehen könnte, was man unternehmen könnte.
  • Oder sich ohnmächtig fühlen, wenn man sich bewusst wird, wie unmöglich der Weg zur Utopie ist.
  • Gegenwärtiges in Frage zu stellen und zig Alternativen dazu zu durchdenken, kann auch die Unsicherheit verstärken. Gegebenes nicht mehr als unabänderlich zu sehen bringt Freiheiten – aber kann auch verunsichern.
  • Klarheit, Sicherheit oder Zugehörigkeitsgefühl – wenn man sich seiner eigenen Wünsche, Werte und Bedürfnisse bewusst wird und Mitstreiter findet, die eine Utopie teilen.
  • Einsamkeit – wenn man merkt, dass man mit manchen Wünschen und Werten oder gewagten Utopien alleine da steht.
  • Traurigkeit – wenn einem bewusst wird, was alles nicht war, nicht ist und vielleicht nie sein wird, was einem wichtig gewesen wäre.

Welche Gefühle fallen euch noch ein, die durch Utopien und utopisches Denken ausgelöst werden können?

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Utopie und Enttäuschung

Vor ein paar Jahren habe ich einen Workshop mit NachbarInnen geleitet, in dem auch eine utopische Version unserer Straße entwickelt wurde. Aus der schmalen, mit Autos zugeparkten und durch zügigen Autoverkehr gefährlich und lauten Straße, wurde eine verkehrsberuhigte, fast autofreie Straße, mit grünen Parkecken, Sitzinseln für Senioren, Spielecken für Kinder, Mülleimern für Hundebesitzer, Radwegen, Tempo 30, kaum Parkplätzen, Autoverkehr nur in eine Richtung. Eigentlich wohl eher eine zeitgemäße Planungsvision als eine gewagte Utopie. Es führte dennoch dazu, dass ich dieses Bild vor mir sehe, wenn ich mit dem Fahrrad verbotenerweise den Gehweg nutze, um nicht zwischen die Autos zu geraten oder lange warten muss, um heil über die Straße zu kommen. Es frustriert mich und macht mich wütend, dass sich hier nichts in Richtung einer Verkehrsberuhigung getan hat – in Zeiten, wo diese Veränderungen sogar dem politischen Auftrag entsprechen und bei weitem keine gewagten Ideen sind. Es bringt nur wenig Genugtuung, dass sich die zeitgleich skizzierte Autofahrer-Utopie (bzw. Anwohner-Dystopie) auch nicht realisiert hat: eine auf Betonstelzen erhöhte 4-spurige Schnellstraße als Verlängerung des Steglitzer-Autobahn aus den 60er Jahren, damit die vielen Pendler aus den boomenden Vorstädten schnell zur Arbeit ins Berliner Zentrum kommen. Die Erfahrung, den Alltag mit einem utopischen Gegenentwurf im Kopf zu bestreiten, ließ mich darüber nachdenken, welche schwierigen Gefühle, wie Trauer, Wut und Enttäuschung, mit utopischem Denken einhergehen und was diese bewirken.

Eine Utopie beschreibt eine Gesellschaft, wie sie schöner und besser wäre, als unsere aktuelle Gesellschaft. Indem wir diese erzählen, setzen wir uns zwangsweise mit dem auseinander, was aktuell in der Gesellschaft fehlt und Leid verursacht. Wir müssen uns das Hässliche und Schmerzhafte anschauen und bewusst machen, damit wir in Abgrenzung dazu, Utopien entwerfen können.

Utopien machen uns bewusst, was nicht ist. Und je nachdem, wie möglich oder unmöglich die utopischen Entwürfe erscheinen, zeigen sie uns auch das, was nicht sein wird; das, von dem wir annehmen, dass es in unserer Lebenszeit nicht mehr realisiert wird.

Ich sehe eine Utopiewerkstatt, also einen Prozess bei dem Utopien entwickelt, diskutiert und geteilt werden, als einen grundsätzlich hoffnungsvollen und handlungsorientierten Prozess. Warum würde jemand Utopien entwerfen, wenn da nicht die Hoffnung wäre, dass Teile davon realisiert werden und die Ideen zu einer positiven Entwicklung der Gesellschaft beitragen? Gleichzeitig kann der Abstand zwischen dem Gewünschten und dem Gegebenen sehr groß sein. Je näher die Utopie an den eigenen tiefsten Wünschen, umso deutlicher könnte einem gewahr werden, dass diese Wünsche eben nicht erfüllt sind und oft auch nicht erfüllt werden. Die Einschätzung, ob die Utopie realisierbar ist, wird dabei stark abhängen von der individuellen Lebenssituation, dem Alter, der persönlichen Gesundheit, dem bisherigen Lebensweg oder der Gesellschaft, in der man lebt.

Utopisches Denken ist meines Erachtens eng verbunden mit Gefühlen, die ich zunächst nicht in dem Zusammenhang erwartet hätte: Wut, Enttäuschung oder Trauer über das, was in der aktuellen Gesellschaft schief läuft, über das, was wir nicht mehr erleben werden oder eben auch darüber, was es an Kraft und Ressourcen kostet, sich für Veränderungen einzusetzen. Einiges davon wird sicherlich durch schöne Gefühle aufgewogen – die Hoffnung auf positive Veränderungen, die Freude an guten Ideen und inspirierenden Gesprächen, die Befriedigung schöpferischer Gedanken und Handlungen. Dennoch scheint es mir wichtig, diesen schwierigen Gefühlen einen Raum zu geben. Wer kennt es nicht, die lähmende Wirkung von Enttäuschung oder die Energieschübe von Wut? Wie könnte es aussehen, schwierigen Gefühlen im Rahmen einer Utopiewerkstatt Raum zu geben? Wie würde sich das auswirken? Welche Möglichkeiten entstehen daraus?

In unserer Straße sind die Stimmen, die sich für die Verkehrsberuhigung eingesetzt haben, still geworden. Wie wäre es, wenn es einen Austausch über Wut, Enttäuschungen oder Trauer gäbe? Vielleicht würde geteilte Wut einen Motivationsschub für einen neuen Anlauf bringen? Oder anerkannte Enttäuschung den Weg frei machen für andere Projekte?

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